Ein Stück konservierte Zeit
Kunststipendium des Landkreises: Ilona Hönicke aus der Oberlausitz lebt vier Wochen auf dem Bergfeld – Kreativer „Familienzuwachs“
Von Peter Lahr
Neckar-Odenwald-Kreis. Seit 1990 verbindet den Neckar-Odenwald-Kreis eine Partnerschaft mit dem heutigen Landkreis Görlitz. Zum 30-jährigen Bestehen entstand die Idee eines kontinuierlichen kulturellen Austauschs in Form eines jährlich im Wechsel angebotenen Kunststipendiums. Dieser Tage kam Stipendiatin Ilona Hönicke auf das Mosbacher Bergfeld, wo sie mit Ingrid Pfeffer nicht nur vorübergehend das Atelier teilt, sondern gleich als „Familienzuwachs“ aufgenommen wurde.
Sogar in der Küche bilden die beiden Künstlerinnen ein tolles Team. In den Genuss der Backkünste des deutsch-deutschen Austauschs kamen – passenderweise am Nachmittag vor dem Tag der Deutschen Einheit – Landrat Dr. Achim Brötel und die stellvertretende Vorsitzende des Kunstvereins Neckar-Odenwald, Ulrike Thiele.
2019 hatte Ingrid Pfeffer die Idee für die Kunst-Partnerschaft, nachdem sie selbst im Schloss Königshain ausgestellt und ein Stipendium genossen hatte. Auch die beiden regionalen Kunstvereine haben bereits gemeinsame Ausstellungsprojekte gestemmt. Dass sich hier in naher Zukunft ebenfalls wieder etwas tun soll – angedacht ist 2025 –, ließ der Landrat während des Termins ebenfalls durchblicken.
Doch zunächst begrüßte er die weit gereiste Künstlerin mit den Worten: „Wir sind gespannt auf Sie und Ihre Arbeiten.“ Er sei dem Vorschlag des Görlitzer Kollegen Dr. Stephan Meyer gerne gefolgt, unterstrich Brötel. Generell hoffe er auf weiteren künstlerischen Input, der dazu beitragen könne, dass alle Deutschen wieder mehr Verständnis füreinander entwickelten. Ingrid Pfeffer und ihr Mann gingen da mit gutem Beispiel voran: „Sie bieten Ilona Hönicke einen Anker und ein Atelier an.“ Gegen Ende des Aufenthalts, so versprach der Landrat, solle noch ein Format geschaffen werden, in dem die während des Stipendiums entstandenen Arbeiten vorgestellt werden.
„Ich freue mich, dass ich hier sein kann“, erwiderte Ilona Hönicke. Als sie sich für das Stipendium bewarb, habe sie ihre Chancen darauf eher als gering eingestuft. Umso größer war dann die Freude, dass es geklappt hat.
Die Künstlerin, die heute im Rentenalter ist, blickt auf eine umfangreiche Ausbildung in unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen zurück. Vom Handwerk kommend, besuchte die Graveurmeisterin an der renommierten Städelschule in Frankfurt am Main Abendkurse. Bei Bonn studierte sie zudem Kunsttherapie, bei Freiburg kamen Bildhauer-Kurse hinzu. Rund zehn Jahre wirkte Hönicke ehrenamtlich als künstlerische Leiterin des deutsch-tschechisch-polnischen Begegnungszentrums „Windmühle Seifhennersdorf“, wo sie auch Kunst-Workshops offerierte. Ein Thema liege ihr dabei besonders am Herzen: „Ich male und modelliere die menschliche Figur. Da bin ich hängen geblieben: der Mensch.“
Durch die größere Nähe zu Polen und der Ukraine herrsche derzeit ein Klima der Angst. „Treffen einmal Raketen unser Haus?“ Diese Frage tauche immer wieder auf. „Man verkraftet alles, nur keinen Krieg“, lautet ein Credo der Künstlerin, die auch die Folgen des Klimawandels auf den afrikanischen Kontinent mit Sorge verfolgt: „Wenn wir bald schon 40 Grad im Sommer haben, gibt es dort 60 Grad. Das gibt doch zu denken.“ Den dystopischen Gedanken hält Hönicke einen anderen Satz entgegen: „Malen macht glücklich.“ Denn dank der Kunst könne sie all jene Konflikte, die sie in sich trage, besser kompensieren.
Mit kleinem Gepäck kam Ilona Hönicke im Neckar-Odenwald-Kreis an. „Ich musste viermal umsteigen“, skizziert sie die lange Bahnfahrt in vollen Zügen. Ihre Pigmente und Malmittel hat sie aber mitgenommen – und freut sich über einige Keilrahmen, die ihr Ingrid Pfeffer für die ersten Gemälde anbot.
Nach einem Gang durch die Fachwerkstadt zog es die Stipendiatin zur Motivsuche in die Landschaft. Da sie diese für zu wenig kontrastreich hielt, malte sie die Kirche Maria Königin – genau gegenüber ihrer neuen Heimat auf Zeit. Eine gekrönte Maria musste ebenfalls auf die Leinwand.
Eine erste Überraschung erlebte Hönicke bereits: „Ich bin mit dem Gedanken hierhergekommen, dass ich Tag und Nacht male. Das ist ja ein Mal- und Kunststipendium, keine Sightseeingtour.“ Gleichwohl gibt ihr das Gastgeber-Paar viele Einblicke in die Kunstszene der Region. Eine Fahrt in die Kunsthalle Würth ist geplant, auch ein Besuch der aktuellen Kunstverein-Ausstellung im Alten Schlachthaus, zum „Lieblingsbaron“ des Landrats. Apropos Lieblinge: Neo Rauch und Anselm Kiefer zieht Hönicke den Werken von Joseph Beuys vor: „Mit dem kann ich nicht so viel anfangen.“
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Bildinformation: „Ich brannte für die Kunst“, sagt Ilona Hönicke (2. v. r.) mit Blick auf ihr Leben. Vier Wochen lang schwingt die Stipendiatin nun die Pinsel bei Ingrid Pfeffer (r.). Landrat Dr. Achim Brötel und Ulrike Thiele begrüßten sie auf dem Mosbacher Bergfeld. Foto: Peter Lahr